Katholische Kirche
Aus: Ave-Maria-Glöcklein, A. Hungari, 1864
1.
Eine der schönsten und lieblichsten Marien-Andachten ist wohl die Maiandacht. Der Frühlingsanfang, das grüne, blühende, süßduftige und liederdurchklungene Erwachen der Natur wird der jungfräulichen Gottesmutter Maria geweiht. Gewiss sehr sinnig! Erwachte ja auch die Menschheit zu neuem Leben, als in der Gebenedeiten des Herrn die Weissagungen des Alten Bundes in Erfüllung gingen.
Die Schriftsteller sind über den Ursprung dieser rührenden Andacht nicht einig. Mehrere Gelehrte schreiben sie dem heiligen Philipp Neri zu, der um das Heil der Seelen so besorgt und so eifrig war, den Kult der erhabenen Gottesmutter überall zu verbreiten. Dieser Heilige, der die Jugend ganz besonders liebte, hatte bemerkt, dass der Maimonat für die jungen Leute der gefährlichste Monat des Jahres sei. Trostlos darüber, dass er das Feuer ihrer Leidenschaften nicht im Zaum halten konnte, betrachtete er sie mit Rührung, die Augen voller Tränen. Endlich verfiel er auf den heiligen Gedanken, zur Königin der Jungfrauen seine Zuflucht zu nehmen und das jugendliche Alter während des Monats Mai unter ihren mütterlichen Schutz zu stellen. Zu diesem Zweck gab er den jungen Leuten Verhaltensregeln, wie sie diesen schönen, ihrer Unschuld so gefährlichen Monat heilig zubringen könnten. Er empfahl ihnen, der Mutter Gottes vor ihren Bildern, Bildsäulen und Altären fromme Huldigungen darzubringen, er verordnete tägliche Andachtsübungen, ununterbrochenen Besuch der Heiligen Messe und des christlichen Unterrichts, öfteres Gebet in Verbindung mit Tugendübungen und gottseligen Werken, schließlich eine allgemeine oder besondere Kommunion im Laufe oder am Schluss des Monats und Hingabe an die allerseligste Jungfrau. Die glücklichsten Erfolge krönten seine frommen Bemühungen, und dieser Monat, der sonst so gefährlich war, hauptsächlich in Italien, wurde ein Monat des Segens, der Blüten und Früchte des Heils trug, die die Kirche erfreuten.
In Italien also, diesem bevorzugten Land, wo die Religion ihren Thron hat und wo die erhabene Gottesmutter die rührendsten Huldigungen empfängt, hat die Marienandacht im Maimonat, wodurch der schönste Monat des Jahres dem besten und schönsten der Geschöpfe geweiht worden ist, ihren Ursprung genommen.
Das besagte Gefühl, das die Kinder der allerseligsten Jungfrau Maria bewog, ihr jeden Samstag des Jahres zu weihen und sie drei Mal des Tages zu ehren, hat ihnen den heilsamen Gedanken eingeflößt, ihr auch einen ganzen Monat zu widmen. Und weil man, als eine Weihegabe für eine Person, die man liebt und verehrt, das Beste und Angenehmste auswählen muss, so haben sie den schönen Maimonat gewählt, der durch die Erneuerung der Natur und durch die liebliche Vielfalt der Blumen, womit die Erde sich bedeckt, die Seele einzuladen scheint: auch der Gnade wieder geboren zu werden und sich mit hohen Tugenden zu schmücken, um daraus gleichsam eine Krone zu winden für die Königin des Weltalls.
Die Maiandacht verbindet durch anmutige Lieder den blütenreichsten, freundlichsten Monat des Jahres mit dem Lieblichsten, Nachsichtigsten, unserer Schwachheit Zugänglichsten, was der Himmel nach Gott besitzt, und mit dem Unschuldigsten und Reinsten, was die Erde bietet. Sie ist ein der Jugend gebotener süßer Genuss, um sie durch den Reiz heiliger Festlichkeiten und melodischer geistlicher Gesänge von den ausgelassenen Freuden und unsittlichen Liedern abzulenken.
Diese zarte Andacht zu Maria ist für die treuen Herzen eine reine und überreiche Quelle von Gnaden und Gunstbezeugungen: Sie heiligt die schönste Jahreszeit und erhält die fromme Seele inmitten der Zerstreuungen, die sie umgeben, in heiliger Sammlung.
Diese Andacht, durch die Früchte der Gnade und des Heils, die sie reichlich hervorgebracht hat, in Anwendung gekommen, hat die Meere überschritten und ist heutzutage unter dem Schutz der Kirche, die sie durch zahlreiche Ablässe befördert hat, allgemein, also – katholisch geworden.
Die Maiandacht besteht nicht nur in Spanien, Portugal, Frankreich, Belgien, Deutschland, England, Irland, Rom, Neapel und allen Teilen Italiens, sie wird auch an den äußersten Grenzen des Erdballs gehalten und gefeiert. Der Lappländer am Eispol, der Indianer in seinen Urwäldern, der Araber unter dem Zelt in der Wüste, sind der Feier des Marien geweihten Monats nicht fremd. In allen fünf Kontinenten hat die unbefleckte Gottesmutter Kinder, die an sie denken und ihre bittenden Hände nach ihrem Gnadenthron ausstrecken. Es gibt niemanden, vom Fischer, der am Seeufer herumirrt, bis zu dem indianischen Jäger, der auf der einsamen Felsenspitze sitzt, der in diesem schönen Monat nicht sein Gebet an sie richtete. Der Schiffsjunge auf der stürmischen See hat ihr weißes Banner entfaltet, der im tiefsten Urwald Herumstreifende, hat am Fuß des Baumes, unter dem er Schutz gefunden hat, das wunderbare Bild der Mutter Gottes aufgestellt, und so haben sich die Worte des heiligen Lobgesangs erfüllt: „Alle Geschlechter werden mich selig preisen! Beatam me dicent omnes generationes!“ Klein und Groß, der Unwissende und der Gelehrte, die Hirten und die Könige, das Kind an der Mutterbrust und der Greis am Rand des Grabes, alle haben von Zeit zu Zeit die Wirkungen ihrer Barmherzigkeit empfunden, et misericordia ejus a progenie in progeniem. Alle werden sie kommen, um ihre Gebete zu den Füßen derjenigen niederzulegen, die alle Jahrhunderte „ihre Mutter“ genannt haben. Der eine wird ihren Altar mit ihrer dreifachen Blütenkrone schmücken, der andere wird eine Träne der Liebe und der Dankbarkeit darauf fallen lassen, die junge Braut wird ihren Brautring, die zärtliche Mutter das Andenken an ihr verstorbenes Kind, der junge Soldat die dem Feind abgenommene Fahne dort niederlegen!
Der Maimonat ist der Monat der heiligen Freuden. Er ist der Monat, wo die Natur Marien den Kelch ihrer schönsten Blumen aufschließt. Für sie entfalten sich die purpurnen Rosen, die Lilien unserer Täler, der fruchtbare Weinstock. Die Mädchen schmücken in diesem Monat ihre Altäre mit ihren Lilasträußen und blühenden Weißdornzweigen.
Im Talgrund neben dem alten Felsen, am Ufer des klaren Bächleins, hat die fromme Schäferin der Königin der Jungfrauen ihren ländlichen Altar errichtet. Ihr seht daran nicht Marmorsäulen, nicht vergoldetes Tafelwerk, wohl aber findet ihr blumige Auen, dichtbelaubte Bäume, die ihm einen angenehmeren Schatten geben, als den unserer glänzendsten Tempel. Ihr hört da nicht die wohllautende Musik unserer großen Städte, aber ihr genießt die Ruhe der Felder. Ihr werdet da beim Anbruch des Tages das Gezwitscher der Vögel und den Lobgesang der glücklichen Schäferin an den Morgenstern hören!
Im Dörfchen haben die jungen Landmädchen ihren Festschmuck angezogen. Die Prozession des Marienmonats beginnt: Die Glocke ruft die Schar der Gläubigen in die Kirche, der Winzer steigt vom Hügel herab, der Ackersmann eilt von der Ebene herbei, der Holzhacker verlässt den Wald, die Mütter schließen ihre Hütten, um das Fest des Maimonats mitzufeiern. Bald sieht man die Geistlichkeit, die langen Reihen junger Mädchen erscheinen. Der Zug setzt sich in Bewegung und es erschallt der Gesang: „Meine Seele preist hoch den Herrn und mein Geist frohlockt in Gott meinem Retter; er hat herabgesehen auf die Niedrigkeit seiner Magd! – Er hat Großes an ihr getan durch die Macht seines Armes! – Die Hoffärtigen hat er zerstreut, die Demütigen hat er erhöht!“ – Das Banner der Heiligen, das Kreuz, die einzige Hoffnung unseres Heils eröffnet die Prozession. Dann kommt das Bild der unbefleckten Jungfrau Maria, auf einem mit Laubwerk verzierten Thron sitzend, und von vier jungen Mädchen getragen. Ihr Ehrengeleit besteht aus ihren keuschesten Kindern. Die Dorfbewohner folgen und ziehen durch das Dorf und an den blühenden Weißdornhecken hin, in denen die Nachtigall ihr Liedchen trillert. Die Bäume sind mit Blüten bedeckt oder mit jungem Grün geschmückt. Die Wälder, die Täler, die Bäche, die Felsen hören abwechselnd die Liebeshymnen an Maria, und zum Schluss sendet der Mond sein mildes Licht vom Himmel herab auf dieses geliebte Fest, das der lieblichste Monat jedes Jahr uns wiederbringt.
2.
Die Art und Weise nun, wie diese Andacht verrichtet wird, ist gewöhnlich folgende: Am Vorabend des ersten Mai wird der schönste Schmuck der Blumen aufgeboten, um die christliche Feier des Frühlings zu verherrlichen und einen Muttergottes-Altar zu zieren. Am ersten Mai abends zur festgesetzten Stunde, und so durch alle Tage des Monats, wird nach einem gegebenen Glockenzeichen das Hochwürdigste Gut vom Hochaltar auf den im Lichtglanz strahlenden, von duftenden Blumen umblühten Mai- und Muttergottes-Altar getragen und dort der heilige Segen gegeben. Hierauf folgt ein kurzer Vortrag, der ein Betrachtungs-Thema aus dem Leben Mariens, ein Ereignis, in dem ihre Macht und Gnade sich auffallend gezeigt hat, eine ihrer vielen Tugenden oder eine christliche Glaubenslehre in Verbindung mit ihrem Leben behandelt. Hat der Prediger geendet, so wird die Lauretanische Litanei gebetet oder gesungen. Auf die Litanei mit ihren Gebeten folgt an vielen Orten noch ein längeres oder kürzeres Marienlied. Den Schluss der Andacht macht der Segen mit dem Allerheiligsten zuerst vom Mai- und dann vom Hochaltar herab. – In den Häusern wird gleichfalls das Bild der heiligen Jungfrau oder ein kleiner Hausaltar geschmückt, und gebetet. – In Frankreich und Italien finden überdies während dieses lieblichen Monats feierliche Prozessionen statt und überhaupt wird alles aufgeboten, um die Maiandacht auf die würdigste und ansprechendste Wise zu begehen. Der Zudrang zu den Kirchen bei dieser Feier ist dort auch ungewöhnlich groß. Unzählige vereinigen sich mit ihrem Heiland im heiligen Altarsakrament, und senden in Gemeinschaft mit der glorreichen Maikönigin ihr heißes Flehen für die allgemeinen und besonderen Anliegen der Christenheit zum göttlichen Thron empor. Und kommt dann das Ende der Andacht, so sehen Männer, Frauen und Kinder, Städter und Landleute wehmutsvoll diesen lieblichen Monat Abschied nehmen. Die Erinnerung daran zieht sich erhebend und erheiternd durch das übrige Jahr dahin, und geraume Zeit vorher freut sich Alt und Jung wieder auf die Rückkehr des Marienmonats. Aber auch in Belgien, wo diese Andacht nun heimisch geworden ist, und in manchen Städten und Orten Österreichs, wie z.B. in Innsbruck, Linz, Salzburg und in zahlreichen Städten und Dörfern des übrigen Deutschlands, findet diese Andacht, die alle anderen an Zartheit und Anmut übertrifft, große Teilnahme und wird aufs Prächtigste und Rührendste gefeiert.
Übrigens besteht die Heiligung des Marienmonats wesentlich in folgenden Punkten:
1. Jeden Morgen opfert man alle Handlungen des Tages der jungfräulichen Mutter und durch sie ihrem göttlichen Sohn auf; und man lässt sich angelegen sein, sie alle heilig und vollkommen zu verrichten.
2. Täglich nimmt man, wenn es geschehen kann, am heiligen Messopfer und der öffentlichen Maiandacht teil; jedoch kann letztere auch im Besonderen und zu Hause gehalten werden.
3. Man betet oft entweder allein oder mit der Familie den heiligen Rosenkranz und die Lauretanische Litanei.
4. Man reinigt gleich anfangs seine Seele durch eine reumütige Beicht und empfängt die heilige Kommunion; wenigstens geschieht dies einmal im Verlauf des Monats.
5. Man arbeitet den Monat hindurch unverdrossen an der Ablegung eines Fehlers, sowie an der Aneignung einer Tugend, und bemüht sich überhaupt, der göttlichen Mutter durch die Reinheit des Herzens zu gefallen.
6. Schließlich sucht man die Verehrung Mariens auch bei anderen zu befördern und wirkt, wo man kann, zur Bekehrung eines Sünders.
Die Kirche hat diese Andachtsweise durch Erteilung reichlicher Ablässe genehmigt und alle Gläubigen zur eifrigen Teilnahme aufgemuntert. Im Erlass des Heiligen Vaters Pius VII. heißt es: „Allen Gläubigen, die öffentlich in der Kirche oder zu Hause im Kreis der Ihrigen während dem Monat Mai die heilige Jungfrau durch Huldigung, Gebete und andere Tugendübungen ehren werden, sei für jeden Tag dieses Monats ein Teilablass, und einmal im Monat, an dem Tag nämlich, an dem sie das heilige Sakrament der Buße und des Altars empfangen und für die Angelegenheiten der Kirche nach der Meinung Seiner Heiligkeit beten würden, ein vollkommener Ablass verliehen. Diese Ablässe können auch den Seelen im Reinigungsort zugewendet werden.“ Diese Ablässe sind von demselben Papst mittelst Beschlusses der Kongregation der Ablässe am 18. Juni 1822 auf ewige Zeiten bestätigt worden.
Fragt man, was und wie viel das christliche Leben durch diese Marianische Maifeier gewinnt, so ist darauf leicht Antwort zu geben. Die Erfahrung hat bisher immer gezeigt, dass sie an allen Orten, wo sie eingeführt wurde und lebhafte Teilnahme fand, erstaunenswerte Früchte hervorbrachte. Es kann auch nicht anders sein, denn wie sollte die Vereinigung von so vielen Kindern um die jungfräuliche Mutter, die ihr alle das Opfer der Liebe entgegen bringen und sie eifrig um ihre mächtige Fürsprache bei Gott anflehen, nicht große, gnadenreiche Fügungen für Personen, für Stadt und Land gewinnen können? Dann dürfen wir auch überzeugt sein, dass eine solche kindliche Feier zu Ehren der makellosen Jungfrau einen unauslöschlichen Eindruck auf die Gemüter macht und sie immer mehr für Tugend und Unschuld begeistert.